Etwas Bleibt Immer Zurück

by Nadine Pauly

Für Ralf Schmerberg bedeutet diese Ausstellung die Begegnung mit seiner Vergangenheit, einer Vergangenheit, die mehr als Zufriedenheit bedeutet. Es ist ein Wiedererleben von außergewöhnlichen Augenblicken, die vielleicht in Vergessenheit geraten waren und durch die Arbeit mit den Werken in allen Einzelheiten lebendig werden, wenn auch manchmal mit einem verklärenden, fast romantischen Rückblick.

Coming Home ist eines dieser Bilder: aufgenommen aus dem Flugzeug, schweift der Blick über Berliner Bezirke und bleibt schließlich am Fernsehturm hängen. Das Wunderbare, Spektakuläre an diesem Bild ist die Farbe. Strahlend-warme Töne von Safrangelb bis Bernstein umhüllen die kalte Morgenszenerie. Dieser für Berlin außergewöhnliche Anblick trägt die Magie eines In Between in sich. Ralf Schmerberg befand sich gerade auf dem Rückflug aus Bombay nach Berlin. Indien, ein Land mit dessen Lebensart Ralf Schmerberg sehr viel verbindet und dessen Philosophie er als junger Mann 5 Jahre lang im Ashram des indischen Philosophen Bhagwan Shree Rajneesh studierte. Und dann kurz vor der Landung ist mit diesem festgehaltenen Augenblick plötzlich Indien mit all den damit verbundenen Erinnerungen noch einmal da. Zufall?

Der Aufenthalt in Indien ist nur eine der vielen Stationen in Ralf Schmerbergs Leben: er arbeitet erfolgreich als Filmemacher, Fotograf und Produzent; seine filmischen Arbeiten werden mit Preisen wie dem Grimme Award, dem Cinema for Peace-Award oder einer Emmy Nominierung ausgezeichnet.

Angetrieben von ununterbrochenem Interesse an sozialen, gesellschaftlichen und umweltpolitischen Dissonanzen, initiiert er international beachtete Projekte wie dropping knowlegde 2003 oder The Table of Free Voices 2006. Die soziale Vernetzung in einer zunehmend digitalisierten Welt, der Wissensaustausch und das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt stehen im Mittelpunkt seiner Initiativen. Bei allem ist Schmerberg Augenmensch, die Kamera sein ständiger Begleiter. Mit ihr fängt er spontan und impulsiv seine Motive ein. Keine Aufnahme wird ausgesucht oder konstruiert, anders als man es vermuten könnte, denkt man an Ralf Schmerbergs Karriere als Werberegisseur bei Firmen wie Nike, Apple oder Lufthansa. Es geht ihm vielmehr um seine tagtägliche Wahrnehmung seiner Welt. Nicht die Suche nach dem perfekten Sujet steht im Vordergrund, sondern das Erleben, die impulsive Begegnung und der rein persönliche Umgang mit dem Sujet. Ebenso intuitiv ist auch seine Auswahl der Bilder für diese Ausstellung und den vorliegenden Katalog. Alle Bilder sind gleichberechtigt, bilden eine Art Reigen aus Erinnerungen. Ein Tagebuch des Lebens, ein Ozean der Augenblicke.

Die für die Kunstwelt gängigen Betrachtungsebenen wie Bildsprache, Bildinterpretation oder Titelwahl sind für Schmerberg hierbei nicht relevant. Sehen und Fühlen statt Sprechen und Beschreiben. Für den Betrachter mag ein Ausbleiben dieser Zugangsmöglichkeiten nicht immer einfach sein. Die Verzauberung durch den Moment, das Wann und Wo, der persönliche Bezug zum Augenblick – das ist für Ralf Schmerberg bedeutsam.

They only open before sunlight, macht diese „Problematik“ deutlich. Die Aufnahme einer Seerose, wie wir sie alle schon einmal gesehen haben: Inbegriff für Schönheit, Stille, Frieden. Doch für Ralf Schmerberg war der Weg bis zu dieser Aufnahme keineswegs friedvoll. Er musste zu der Seeroose schwimmen, ohne dabei die Kamera mit Wasser zu beschädigen oder mit den Füßen in den Schlingpflanzen hängen zu bleiben, um dann in Ruhe den einen Augenblick festzuhalten. Es sind die einzigartigen Entstehungsgeschichten der Werke, die Schmerberg sofort wieder präsent sind, dem Betrachter jedoch verborgen bleiben.

Ich teile das Glück, sagt er. Und Sehen ohne erklärende Beiworte, Loslassen vom Gewohntem und ein Sich-Einlassen auf das Spiel mit dem Zufälligen, sind für den Betrachter großartige Möglichkeiten, sich auf die eigene Suche nach dem Verborgenen in den großformatigen Werken zu machen.

Ralf Schmerberg überlässt es dem Betrachter, was er in den Bildern sieht, was er empfindet. Er wählt Motive wie beispielsweise einen Regenbogen – zufällige Motive, wie wir alle sie sehen können. So wie wir auch einen ein belanglosen Farbkleks sehen, den aber ein Jackson Pollock durch seine Dripping-Technik einst zur vollkommen neuartigen Kunstform erhob. Und wenn wir in Werken wie Etwas bleibt immer zurück erstmal nur trockenes, zertretenes Gras und liegengebliebenes Konfetti sehen, die wie nebenher aufgenommen wurden, verwandelt Schmerberg durch seine ganz persönliche Sichtweise das Zufällige jenes Augenblicks in eine einzigartige künstlerische Ästhetik. Die Verwandlung entsteht durch das Anerkennen des Zufälligen und die absolute Hingabe des Künstlers an die Magie, Schönheit und Wahrheit dieses Moments. Es ist, als hätte Ralf Schmerberg das perfekte Auge: ohne zu inszenieren, eröffnet er uns im Zufälligen eine vielschichtige Bildkomposition, deutet Vergangenheit und Zukunft einer Geschichte an, erzeugt Dramaturgie oder Ironie und verzaubert uns mit seiner Wahrnehmung von Farbe, Licht und Schatten. Einzigartig und ergreifend.